Erbfall - was ist mit früheren Leistungen?

Wenn Eltern ihren Kindern und Enkeln schon zu Lebzeiten etwas zukommen lassen, stellt sich im Erbfall häufig die Frage: muss das irgendwie berücksichtigt werden?

Das begünstigte Kind wird der Ansicht sein, die Zuwendung habe mit dem Erbfall nichts zu tun, es ist oft nicht bereit, sich etwas anrechnen zu lassen oder gar zurückzuzahlen.

Seine Geschwister, die vielleicht nichts oder deutlich weniger von ihren Eltern bekommen haben, sehen das naturgemäß häufig anders: den Eltern sei es immer wichtig gewesen, alle Kinder gleich zu behandeln, wer schon früh mehr als die anderen bekommen habe, der müsse später ein Stück weit zurückstecken.

Auch das Gesetz geht vom Grundsatz der Gleichbehandlung aus: "Kinder erben zu gleichen Teilen", so steht es in § 1924 Abs. 4 BGB, dieses Prinzip gilt aber in erster Linie für die gesetzliche Erbfolge, also für die Fälle, in denen der Verstorbene keine letztwillige Verfügung hinterlassen hat. Anders ist es, wenn er etwas Konkretes angeordnet hat, in Form eines Testaments oder eines Erbvertrages: eine solche Verfügung geht vor, und das Gesetz vermutet, dass der Erblasser bei der Verteilung des Nachlasses auch berücksichtigt hat, welches der Kinder schon zu Lebzeiten etwas erhielt, und welches Kind bisher womöglich zu kurz gekommen ist.

1) Ausgleichungspflicht bei gesetzlicher Erbfolge

Auch bei fehlendem Testament geht das Gesetz davon aus, dass der Erblasser seine Kinder und sonstigen Abkömmlinge (Enkel, Urenkel usw.) gleich behandeln will, und deshalb hat es für bestimmte, schon zu Lebzeiten erbrachte Leistungen angeordnet, dass sie unter den Kindern auszugleichen sind.

Das Gesetz unterscheidet in § 2050 BGB drei Gruppen von lebzeitigen Zuwendungen, und es regelt jede etwas anders:

a) Ausstattungen

Nach § 2050 Abs. 1 BGB sollen Ausstattungen immer auszugleichen sein, sofern der Erblasser nichts anderes angeordnet hat - wobei "anordnen" nicht ein Testament meint, das es bei der gesetzlichen Erbfolge ja meist nicht gibt, sondern Anordnungen zu Lebzeiten, also zu dem Zeitpunkt, als die Ausstattung gewährt wurde.

Was eine "Ausstattung" ist, lässt das Gesetz an dieser Stelle offen, hier hilft § 1624 BGB: Beispiele sind Zuwendungen an ein Kind "mit Rücksicht auf seine Verheiratung (...) oder die Erlangung einer selbständigen Lebensstellung", etwa eine Starthilfe zur Existenzgründung, wie z. B. die Einrichtung einer Arztpraxis. Aber auch die Sicherung oder Erhaltung einer bedrohten Existenz kann eine Ausstattung sein, wenn die Eltern zum Beispiel einen betrieblichen Kredit des Kindes ablösen.

b) Laufende Aufstockungen

Wenn Kinder mit ihren eigenen Einkünften nicht über die Runden kommen, sind Eltern häufig bereit, ihnen unter die Arme zu greifen, mit laufenden Geldzuwendungen - nur sie sind bei der Ausgleichungspflicht nach § 2050 Abs. 2 BGB relevant, also nicht der einmalige Zuschuss für eine bestimmte Urlaubsreise oder einen Autokauf.

Auch Aufwendungen für bestimmte Berufsausbildungen, etwa ein kostspieliges Zweitstudium oder eine anschließende Promotion, können im Erbfall ausgleichungspflichtig sein, nicht aber die Kosten der Erstausbildung, weil diese in der Regel als Teil des gesetzlichen Kindesunterhalts ohnehin zu tragen sind (§ 1610 BGB).

Diese laufenden Zuwendungen sind auch nur insoweit ausgleichungspflichtig, als sie angesichts der Vermögensverhältnissse der Eltern nicht angemessen waren, sprich wenn sich die Eltern für das betreffende Kind "krumm" machen mussten, also ein besonderes Opfer erbracht haben.

c) Angeordnete Ausgleichung

Es versteht sich von selbst, dass auch alle anderen Zuwendungen im Erbfall auszugleichen sind, wenn der Erblasser so etwas von vornherein angeordnet hat (§ 2050 Abs. 3 BGB). Eine solche Anordnung muss im Zeitpunkt der Zuwendung erfolgen, das begünstigte Kind muss erkennen können, dass ihm das, was es jetzt zu Lebzeiten der Eltern bekommt, später wieder abgezogen wird, bei der Verteilung ihres Nachlasses. Die Anordnung kann mündlich und sogar stillschweigend erfolgt sein, beweisen müssen sie die Geschwister, die die Ausgleichung verlangen. Wollen Eltern die Ausgleichung nachträglich anordnen, geht das nur förmlich, durch eine letztwillige Verfügung.

Etwas anderes sind Darlehen, die Eltern ihren Kindern gewähren. War ein Darlehen zum Zeitpunkt des Erbfalls noch nicht vollständig getilgt, so fällt der Anspruch auf Rückzahlung in den Nachlass, als Aktivum, also als positiver Vermögenswert, so wie es bei einem Kontoguthaben der Fall wäre.

2) Berechnung des Ausgleichungsbetrages

Bei der Auseinandersetzung wird einem Miterben der Wert der Zuwendung, den er zur Ausgleichung zu bringen hat, auf seinen Erbteil angerechnet (§ 2055 Abs. 1 Satz 1 BGB).

Diese Anrechnung ist aber bereits der zweite Rechenschritt, davor müssen zunächst alle Zuwendungen, die zur Ausgleichung zu bringen sind, dem Nachlass hinzugerechnet werden, es ist also ein fiktiver Ausgleichungsnachlass zu bilden, als Grundlage der anschließenden Anrechnung (§ 2055 Abs. 1 Satz 2 BGB).

Beispiel: Erblasser hinterlässt drei Kinder A, B, C, der Nachlass beträgt 60.000 €. A hatte zu Lebzeiten ausgleichungspflichtig 18.000 € erhalten. Der fiktive Ausgleichungsnachlass beträgt 60.000 + 18.000 = 78.000 EUR, davon erhält jedes Kind 1/3 (§ 1924 Abs. 4 BGB), das sind jeweils 26.000 €. Bei A ist der Vorempfang von 18.000 € anzurechnen, also von seinen 26.000 € abzuziehen, er bekommt bei der Auseinandersetzung nur noch 8.000 €, B und C jeweils 26.000 €, also die restlichen 52.000 €. 

Tückisch ist die unterschiedliche Bewertung: für den realen, am Sterbetag tatsächlich vorhandenen Nachlass, ist der dann aktuelle Wert maßgeblich. Für den Wert der Zuwendung aber kommt es auf den Zeitpunkt ihrer Vornahme an. Wurden einem Kind zum Beispiel frühzeitig Aktien übertragen, ist es gleichgültig, ob diese später im Wert stiegen oder fielen. Sind die Aktien inzwischen wertlos, muss das Kind etwas ausgleichen, was es im Zeitpunkt des Erbfalls nicht mehr hat (§ 2055 Abs. 2 BGB).

3) Sonderfall: Zuwendungen an den Erblasser

Teilweise sind es nicht die Eltern, die Untertützungsleistungen erbringen, sondern umgekehrt die erwachsenen Kinder, zum Beispiel durch jahrelange Mitarbeit im elterlichen Betrieb, oft ohne angemessenes Entgelt. Einige untertützen ihre alten Eltern direkt, etwa weil deren Renten nicht reichen, oder sie nehmen sie zu sich, lassen sie kostenfrei bei sich wohnen, kaufen Lebensmittel für sie ein, ohne hinterher abzurechnen. Solche Leistungen kommen den Eltern zugute, indirekt aber auch den anderen Kindern, den späteren Miterben, sofern das elterliche Vermögen durch die anhaltende Unterstützung erhalten oder womöglich sogar vermehrt wurde.

Auch solche Leistungen an die Eltern können im Erbfall auszugleichen sein, von den Kindern, die davon profitierten, zugunsten der Kinder, die die Last zu tragen hatten.

Allerdings müssen die Eltern von den Leistungen "in besonderem Maße" profitiert haben (§ 2057 a BGB), vorübergehendes Einspringen reicht deshalb in der Regel nicht, außerdem kann keine Ausgleichung verlangt werden, wenn für die Hilfe ein angemessenes Entgelt entweder gewährt oder zumindest vereinbart wurde.

Wer seinen Eltern einen größeren Geldbetrag zur Verfügung gestellt hat, zum Beispiel für eine Hausrenovierung, tat dies womöglich in Form eines zinslosen Darlehens; auch hier ist nichts auszugleichen, weil das Kind insofern einen Rückzahlungsanspruch hat (§ 488 BGB), sein Darlehen ist eine Erblasserschuld (§ 1967 BGB).

Häusliche Pflege kann ebenfalls auszugleichen sein, sofern sie über einen längeren Zeitraum erfolgte (§ 2057a Abs. 1 Satz 2 BGB) - siehe den Artikel zu "Pflegeleistungen".

Kompliziert wird es, wenn es Leistungen in beide Richtungen gegeben hat, der Erblasser also zunächst Leistungen an eines seiner Kinder erbracht hatte, und später umgekehrt von einem anderen Kind gepflegt wurde. Erst recht wenn es zusätzlich einen Ehegatten gibt, weil der bei all diesen Ausgleichungen außen vor bleibt.

Beispiel: Erblasser hinterlässt eine Ehefrau und drei Kinder A, B, C als gesetzliche Erben, der Nachlass beträgt 240.000 €. Bei Zugewinngemeinschaft beträgt der gesetzliche Erbteil der Ehefrau ein Viertel (§ 1931 Abs. 1 Satz 1 BGB) plus ein Viertel als pauschalierten Zugewinnausgleich (§ 1371 Abs. 1 BGB), sie erhält also die Hälfte des Nachlasses.

Die andere Hälfte geht an die drei Kinder, diese erben zu gleichen Teilen (§ 1924 Abs. 4 BGB), also ist jedes Kind mit 1/6 am Nachlass beteiligt.

Kind A hatte zu Lebzeiten bereits 21.000 € erhalten, Kind B hatte umgekehrt Pflegeleistungen im Wert von 6.000 € erbracht, beides ist auszugleichen.

Die Witwe bleibt außer Betracht, die Ausgleichung findet allein unter den Kindern statt, also nur hinsichtlich ihrer restlichen 120.000 €.

Die 120.000 € sind zunächst zu erhöhen, um 21.000 €, die A zu Lebzeiten erhielt (Vorempfang, § 2055 BGB), und dann um 6.000 € zu reduzieren (Pflegeleistung, § 2057a BGB), es ergeben sich 135.000 €, davon entfallen auf jedes Kind 1/3, also 45.000 €. Bei A werden die 21.000 € angerechnet, die es schon erhalten hat, also abgezogen, es bleiben 24.000 €; bei B werden die 45.000 € um den Wert der Pflege erhöht, es erhält 51.000 €; C bekommt 45.000 €, die Witwe behält ihre 120.000 €.

Rechtsanwalt Lars Finke, LL.M., Fachanwalt für Erbrecht, Mülheimer Str. 85, 47058 Duisburg (Stadtteil Duissern)